Die Fünfte Republik in Frankreich

Wenn vom aktuellen Frankreich als politischem Gemeinwesen die Rede ist, wird häufig die etwas nüchterne Bezeichnung „V. Republik“ benutzt. Dieser Artikel erläutert, was damit gemeint ist ...
Frankreich Fünfte Republik
Die heutige Flagge Frankreichs wurde erstmals 1794 zur offiziellen Nationalflagge ( © illustrez-vous - Fotolia.com )

Die V. Republik

Diese Nummerierung stellt die Traditionslinie zur Ersten Republik (1792 – 1804), der Zweiten Republik (1849 – 1852), zur 1870 proklamierten Dritten Republik, die nach der Niederlage gegen NS-Deutschland 1940 untergangen war, und zur IV. Republik (1946 - 1958) her.

Übergang von der IV. zur V. Republik

Nach dem Sieg über die Deutschen stand General de Gaulle 1944 an der Spitze einer provisorischen Regierung. Der 1945 zum Ministerpräsidenten gewählte de Gaulle strebte für das in Nachfolge der provisorischen Regierung geplante Staatswesen der IV. Republik eine starke Exekutive an. Die Mehrheit der Abgeordneten der Verfassungsgebenden Nationalversammlung sprach sich aber für eine Konzentration der Macht beim Parlament aus. De Gaulle vermochte mit seinen Vorstellungen nicht durchzudringen. Er trat deshalb 1946 als Ministerpräsident zurück.

Ab 27. Oktober 1946 galt die Verfassung der IV. Republik. Danach durfte der Staatspräsident zwar den Regierungschef nominieren; dessen Bestätigung, Ministerauswahl und Vorhaben waren aber vom Mehrheitsvotum der Nationalversammlung abhängig. Im Zusammenhang mit dem Kalten Krieg verschärften sich die Auseinandersetzungen zwischen Links- und Rechtsparteien und schwächten die erforderliche Kompromissfähigkeit der Parlaments-Fraktionen. In der Folge wechselten sich bis 1958 gut zwei Dutzend Kabinette als Regierungen ab.

Dennoch konnte sich Frankreich in dieser unmittelbaren Nachkriegszeit durchaus deutlich wirtschaftlich stabilisieren und fortentwickeln. Zur zum Ende der IV. Republik führenden Krise entwickelten sich dann allerdings die militärische Niederlage in Indochina und vor allem der 1954 ausgebrochene Algerienkrieg. Es drohte in Frankreich schließlich sogar die Gefahr eines Umsturzes durch rechtsgerichtete Militärs.

In dieser Situation erschien General de Gaulle den meisten Franzosen als „Retter in der Not“. Im Juni 1958 wurde er von Präsident Coty und der Nationalversammlung zum Ministerpräsidenten bestimmt. De Gaulle hatte die Übernahme dieses Amtes von der Ausarbeitung einer neuen Verfassung abhängig gemacht, um so den Weg frei zu schaffen für eine neue Staatsstruktur. Eine Staatsstruktur, die als „Fünfte Republik“ bis heute Bestand hat.

Die Verfassung der V. Republik

Die neue Verfassung trat am 4. Oktober 1958 nach einem Referendum in Kraft. Wie de Gaulle es lange gewollt hat, ersetzte das Mehrheitswahlrecht bei den Parlamentswahlen das bisherige Verhältniswahlrecht.

Vor allem wurde aber die Stellung des als Staatsoberhaupt fungierenden Präsidenten (Président de la République française) erheblich gestärkt. Der Präsident bekam u. a. das Recht, die Regierung ohne Bestätigung der Nationalversammlung zu ernennen, und die Befugnis, die Nationalversammlung für Neuwahlen auflösen. Die Stärkung der Präsidenten-Stellung brachte der V. Republik die Einordnung als „semipräsidentielle Demokratie“ ein. Die manchmal auch benutzte Benennung als „republikanische Monarchie“ passt gut zur Nebenfunktion des französischen Staatspräsidenten als Ko-Fürst des Fürstentums Andorra.

Die Wahlamtszeit des seit 1965 direkt gewählten Präsidenten wurde ursprünglich auf sieben Jahre festgelegte. Seit 2000 gilt eine Amtszeit von fünf Jahren.

Gaullistische Ära (1958 bis 1974)

Der Ende Dezember 1958 in indirekter Wahl zum ersten Präsidenten gewählte de Gaulle stand vom 8. Januar 1959 bis zum 28. April 1969 an der Spitze Frankreichs. In dieser Zeit machte er die Außen- und Verteidigungspolitik zur „domaine réservé“ des Präsidenten. Ihm gelang buchstäblich unter Einsatz seines Lebens (er überlebte mehrere Attentate der rechtstextremistischen OAS) bis 1962 die Beilegung des Algerien-Konflikts. De Gaulle führte ein wirtschaftlich prosperierendes Frankreich durch die Frühzeit der EWG und verhinderte hier zweimal die Aufnahme Großbritanniens. Durch den Aufbau einer eigenen Atomstreitmacht (Force de frappe) und durch einen selbständigen Kurs in der NATO unterstrich de Gaulle die von ihm vertretene Position der weitgehenden Unabhängigkeit von der Supermacht USA. Die von ihm forcierte Annäherung an (West-)Deutschland begründete die „Deutsch-Französische Freundschaft“.

1965 wurde der General wiedergewählt. Allerdings wurde zunehmend Kritik an seinem autoritären Führungsstil und am Reformstau laut. 1968 brach sich wachsende Unzufriedenheit bei Studenten und Arbeitern in den Mai-Unruhen Bahn. Nachdem die gaullistische Regierung daraufhin abgegebene Reform-Versprechen nicht eingehalten hatte, verspekulierte sich de Gaulle 1969 mit der Drohung zurückzutreten, falls er bei einem Plebiszit über eine zweitrangige Verfassungsänderung nicht das Vertrauen des Volkes bestätigt bekommen würde. Er bekam nicht die Mehrheit und trat zurück.

Zu seinem Nachfolger wurde der bisherige gaullistische Ministerpräsident Georges Pompidou gewählt. Der technokratisch ausgerichtete Pompidou trieb die wirtschaftliche Entwicklung durch Großprojekte voran, hielt sich aber bei sozialen Reformen deutlich zurück.

Präsidentschaft Giscard d´Estaing (1974 bis 1981)

Nach Pompidous Tod 1974 zog der zum liberal-bürgerlichen Lager zählende Absolvent der berühmten Elite-Verwaltungshochschule ENA (École nationale d’administration) Valéry Giscard d´Estaing in den Élysée-Palast ein. Er konnte mit einem liberalen Reformprogramm, insbesondere zum Abtreibungs- und Eherecht, sowie mit seiner verstärkt integrativen Europa-Politik punkten.

Der wirtschaftlichen Talfahrt seit der Ölkrise 1973 vermochte Giscard allerdings nicht genug entgegenzusetzen. Bei den Präsidentschaftswahlen 1981 wurde er unter anderem deswegen vom Sozialisten-Führer François Mitterrand, abgelöst.

Sozialistische Ära (1981 bis 1995)

Mitterrand und die von ihm ernannten, zunächst mit Beteiligung der Kommunisten arbeitenden Regierungen veränderten während zweier Amtszeiten die soziale und politische Landschaft Frankreichs. Zu nennen sind insbesondere die schrittweise Dezentralisierung des traditionell strikt zentralistischen Staats- und Verwaltungsaufbaus der Republik. Der zunächst andauernde Negativ-Trend in der Wirtschaft konnte durch von Ministerpräsident Fabius umgesetzte Sparsamkeitsprogramme abgebremst werden.

Zum deutschen Bundeskanzler Kohl baute Mitterrand eine symbolisch wichtige Beziehung auf („Handschlag von Verdun 1984“), die schließlich zur Unterstützung des deutschen Einheitsprozesses 1989/90 führte.

Anders als seine auf Mehrheiten in der Nationalversammlung bauenden Vorgänger musste sich Mitterrand von 1986 bis 1988 und von 1993 bis 1995 mit bürgerlichen Parlaments-Mehrheiten arrangieren. Als Folge ernannte der Sozialist Mitterrand im Rahmen eines „cohabitation“ („Zusammenleben“) genannten Konstrukts bürgerliche Ministerpräsidenten (Chirac, Balladur), um sich so der Unterstützung des Parlaments zu vergewissern.

Neogaullistische Ära (1995 bis 2012)

Nach der zweiten, von etlichen Skandalen überschatteten Mitterrand-Amtszeit gewann der Gaullist und ENA-Absolvent Jacques Chirac 1995 die Präsidentschaftswahl gegen den sozialistischen Gegenkandidaten Lionel Jospin.

1997, nachdem die Rechte im Parlament die Mehrheit verloren hatte, musste Chirac Jospin zum Ministerpräsidenten ernennen („Dritte Cohabitation“, 1997 bis 2002).

In Chiracs beide Amtszeiten fielen unter anderem die Einführung des Euro und der 35-Stunden-Woche.

Zu Chiracs Nachfolger bestimmten die Wähler 2007 den für seine Wirtschaftsfreundlichkeit und Law-and-Order-Linie vom politischen Gegner kritisierten Konservativen Nicolas Sarkozy. Dessen Amtszeit war von einer Reihe von Finanz-Affären bestimmt.

Präsidentschaft Hollande (2012 bis 2017)

Sarkozy unterlag bei den Präsidentschaftswahlen 2012 gegen den Sozialisten und ENA-Absolventen François Hollande. Hollande hatte nicht zuletzt wegen der Ankündigung, den Steuersatz für Reiche auf 75 % zu erhöhen, Stimmen erhalten. Dieses Versprechen konnte er wegen eines Urteils des Verfassungsgerichtshofs (Conseil constitutionnel) nicht erfüllen. Negativ wurde ihm von Wahlvolk auch der Anstieg der Arbeitslosenquote auf die Rekordmarke von über zehn Prozent (2013) zugerechnet.

Präsidentschaft Macron (seit 2017)

Dem glücklosen Hollande, in dessen Amtszeit der islamistische Terroranschlag auf die Redaktion des Satireblattes “Charlie Hebdo“ fiel, folgte 2017 der mit seinen damals 39 Jahren für einen Staatspräsidenten geradezu blutjunge Emmanuel Macron, Gründer der liberalen Partei La République en Marche! und – Überraschung! – ENA-Absolvent.

Der „Kennedy Frankreichs“ präsentierte eine Palette von Reformvorschlägen, die zur Reduzierung der Staatsausgaben, einer Verbesserung der Umweltsituation, einer Stärkung der EU-Effizienz und einem gerechteren Sozialsystem führen sollten.

Dem smart auftretenden Präsidenten wird von der Opposition wegen der Abschaffung der Vermögenssteuer vorgeworfen, Klientelpolitik für Reiche zu machen.

Dem anfänglichen, mit der Hoffnung auf den Beginn einer großen Reform-Phase verbundenen Macron-Hype folgte 2018 bei vielen Franzosen Ernüchterung. Zudem muss sich Macron seit 2018 mit den Forderungen der diffusen Gelbwestenbewegung (mouvement des gilets jaunes) auseinandersetzen.

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