Jean-Paul Sartre: Der Ekel

Mit 'Der Ekel' ('La Nausée') gelang Jean-Paul Sartre ein Schlüsseltext des französischen Existenzialismus. Im Mittelpunkt des Tagebuchromans steht Antoine Roquentin, ein Abenteurer, den es in eine Provinzstadt namens Bouville verschlägt. Roquentin wird vom Gefühl des Lebensekels gequält.

Ekel als Lebensekel

Antoine Roquentin will sich in Bouville historischen Studien widmen. Er ist ein Einzelgänger, er steht mit kaum jemandem in Kontakt außer der Wirtin, mit der er eine sexuelle Beziehung unterhält, einem homosexuellen Autodidakten, der sich systematisch durch die Stadtbibliothek liest, und Anny, einer verflossenen Jugendfreundin, die er in Paris trifft.

Der Ekel, den Roquentin empfindet, richtet sich nicht gegen ein bestimmtes Objekt. Es handelt sich um ein Lebensgefühl, einen Lebensekel, „mein Normalzustand“, wie Roquentin bekennt. Der Ekel ist keine Depression, und nicht einfach mit Lebensüberdruss gleichzusetzen. Er stellt die grundlegende, bohrende Frage der Existenz. Seine Vergangenheit verrinnt Roquentin zur Bedeutungslosigkeit: „Es gibt wenig darüber zu sagen: eine verlorene Partie, das ist alles.“ Seine Handlungen, seine gesamte Existenz erscheint ihm sinnlos: „Nur, wenn ich an alle diese sorgfältigen kleinen Handlungen zurückdenke, verstehe ich nicht, wie ich sie habe machen können: Sie sind so vergeblich.“ Das Aufkommen des Ekels beschreibt Roquentin zu Beginn der Tagebuchaufzeichnungen mit folgenden Worten: „Irgendetwas ist mit mir geschehen, ich kann nicht mehr daran zweifeln. Es ist wie eine Krankheit gekommen, nicht wie eine normale Gewissheit, nicht wie etwas Offensichtliches. Heimtückisch, ganz allmählich hat sich das eingestellt; ich habe mich ein bisschen merkwürdig, ein bisschen unbehaglich gefühlt, das war alles.“ Der Ekel ist Ausdruck der Lebenskrise des Individuums, des absoluten Sinnverlustes, der zugleich eine Suche nach Existenzerfahrung, Abenteuer und Ekstase auslöst.

Sartre, Camus und der Existenzialismus

Neben Albert Camus ist Sartre der große Autor des Existenzialismus in der französischen Literatur. Sein Existenzbegriff ist einerseits von Descartes („Cogito, ergo sum“), andererseits von den bedeutenden Vertretern der deutschen Philosophie, Husserl und Heidegger, beeinflusst. „Das Wesentliche ist das Zufällige“, schreibt Roquentin. Für die bloße Existenz gibt es keinen tieferen Grund, keinen inneren Sinn. Die Existenz erschöpft sich aus sich selbst: „Existieren, das heißt einfach: da sein.“ Mit seiner Existenzphilosophie steht Sartre in einer bedeutenden Tradition des europäischen Denkens. Schon Kierkegaard nahm Reflexionen vorweg, die in Sartres 'Ekel' wieder auftauchen. Auch Nietzsche kann als ein Ahnherr der existenzialistischen Reflexion angesehen werden, die um die absolute Freiheit des Menschen, seine Ungeborgenheit und die mögliche Überwindung dieses Zustandes kreist.

Die Wirkung des Romans 'Der Ekel'

'Der Ekel', der 1938 erschien, war Sartres erster Roman. Heute gilt er als der Schlüsselroman des Existenzialismus schlechthin. Der Roman war auf Anhieb ein Erfolg, vor allem bei jüngeren Lesern. Albert Camus‘ „Der Fremde“ von 1942 ist direkt von ihm beeinflusst. Manche Kritiker sehen in ihm den 'Jahrhundertroman', eines der wichtigsten Bücher des 20. Jahrhunderts, ein Buch, das wie kein anderes das moderne Lebensgefühl beschreibt. Die ungeheure Wirkung von Sartres Gesamtwerk, an dessen Anfang 'Der Ekel' stand, zeigte sich, als zu seiner Beerdigung im Jahre 1980 50.000 Menschen an sein Grab auf dem Montparnasse strömten.

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